Wenn ich in letzter Zeit mit Mitarbeitern großer Konzerne und kleiner Firmen spreche, habe ich das Gefühl, in einem Elfenbeinturm zu leben. Die mich coachende Mona Haug warnte mich gar, ich sollte aufpassen, keine Gefühle dritter Parteien zu verletzen. Grund: mein Arbeitsleben hat sich eigentlich nicht verändert. Meine Wertschöpfung und die der Brinkhaus GmbH läuft weiter, wie zuvor.
Tatsächlich geht ein wichtiger Kunde gerade in einen Shutdown und wird danach evtl. seine Budgets hinterfragen. Aber ansonsten läuft alles relativ normal weiter.
Währenddessen gehen viele Betriebe schlicht in den Shutdown. Arbeitszeit des noch verbliebenen Personals wird zu relevanten Teilen das Einholen staatlicher Gelder und die Verwaltung des Shutdowns gesteckt.
Ich appelliere dringend an den „Sense of Urgency“ ja, ich weiß, dass dies manche als abgedroschenes Wort empfinden. Aber vergessen Sie bitte Gedanken, dass Corona in vier Wochen vorbei sei. Bitte investieren Sie auch Arbeit darin, wie Ihr Unternehmen in einigen Wochen trotz Corona weiterläuft.
Warum ich das wirklich möchte? Weil ich es grausam finde, wie so viele nur noch am Shutdown arbeiten und sich dabei weltweit die Betriebe und Verbraucher gegenseitig herunterziehen.
Schon zu Zeiten meines letzten Großkonzern-Arbeitgebers (KOMET), war ich im dortigen Konzern auf meine Weise „speziell“. Ich war u.a. der „Digital Native“ unter den Zerspanern. Aber halt auch jemand, der sowohl im ICE, als auch zuhause, als auch im Büro lückenlos weiterarbeiten könnte. In dieser Zeit war es ein stiller Gedanke, dass andere sich von dieser Arbeitsweise Scheiben abschneiden sollten.
Inzwischen sehe ich es als allgemeinen Bedarf, mit Verve – jetzt – Teile dieses Gedankenguts weiter zu verbreiten.
Frage also: wieso arbeiten Freelancer zu Teilen einfach weiter?
Ich bin Ende 2018 wieder als Freelancer gestartet. Diese Berufsgruppe kann ortsunabhängig arbeiten. Sie „sieht“ Gesprächspartner zumeist per Videokonferenz. Sie geht nur ab und zu auf Reisen. Es gibt eingespielte Prozesse mit den Kunden, die sich auf Telezusammenarbeit fokussieren. Der Freelancer selbst ist oftmals der Know-How-Träger darüber, wie man mit auf diese Weise gut arbeiten kann. Er bringt dies in seine Kundenfirmen ein, so dass hinterher ein sichtbarer Zustand entsteht, in dem er alle gut zusammenarbeiten.
Personen oder Firmen, die so aufgestellt sind, arbeiten aus meiner Sicht – bisher – oftmals weiter, wie zuvor. Die Wertschöpfungsfähigkeit so organisierter Strukturen bleibt nach meiner aktuellen Erfshrung intakt.
Exkurs „Aufstellung als Freelancer“:
Das Freelancerdasein ab Ende 2018 führte dazu, dass zuhause ein Schreibtisch existiert. Das Haus hat eine Internetleitung (kabelgebunden) von 100MBit im Download und 12MBit im Upload. Internet wird per Mesh-WLAN so verteilt, dass eine gewisse Ausfallsicherheit da ist: selbst über WLAN sind Videokonferenzen möglich.Es gibt einen lokalen Server, sowie aus Gründen der Datensicherheit ein nächtlich laufendes Konzept für Backups in die Cloud. Es gibt einen Tresor. Es gibt eine gute Kamera für Videotelefonie. Ich habe ein ANC-Headset, welches dafür sorgt, dass ich mich auch dann besprechen kann, wenn die Umgebung normalerweise nicht dazu geeignet wäre.
Ich spreche täglich 2-3h mit Mitstreitern per Skype / Circuit / Telefon. Meinen Mitarbeiter und meine Kunden spreche ich zumeist per Skype oder per Telefon.
Um meine Reisefähigkeit möglichst hoch zu halten, besorgte ich mir inzwischen für teure 8€/Stück ein 20er-Set waschbarer Atemmasken. Ich besitze inzwischen einen kleinen Desinfektionsspraysprüher, der in die Innentasche des Jackets passt.Klingt für Sie komisch? Mag sein. Mein Mitarbeiter und ich arbeiten aber einfach weiter, wie zuvor. Und machen noch (?) volle Umsätze.
Weil die Strukturen dazu geeignet sind. Sie können vielleicht nur einen Teil übernehmen. Das Gedankengut einer gewissen geistigen Flexibilität möchte ich Ihnen dennoch nahelegen.
Hauptthese: man viele Bereiche einer Firma so organisieren, dass sie verteilt funktionieren. Wer im ICE für Sie arbeiten kann, macht das auch im Homeoffice einfach weiter.
Als Führungskraft in der KOMET-Gruppe baute ich eine Entwicklungsabteilung in Bangalore auf. Die Zentrale der KOMET-Gruppe war im Süden Deutschlands. Meine Zweigstelle „KOMET Brinkhaus“ war im Norden Deutschlands. Wir stellten unser Know-How für die Restgruppe in Form von Wikies, Telefonsupport, und weltweit reisendem Servicepersonal. Viele Personen, mit denen ich kontaktete, hatten ihre meisten Arbeitskontakte per Videokonferenz, Telefon oder Mail. Unsere weltweit reisenden Personen hatten spezielle SIM-Karten, mit denen sie selbst in Shanghai im Taxi ungezwungen Mails beantworten konnten.
Wichtig hier: mit dem entsprechenden Mindset ließ sich eine Truppe aufbauen, die sich nicht zwingend persönlich sehen musste. Nur 1/3 der Mitarbeiter waren im Büro.
Den Großteil davon konnte ich fließend in mein Freelancer-Dasein ab 2019 übernehmen. Wenn nun also z.B. in Deutschland innerhalb von rund 18 Monaten eine neuer Überwachungssystemhersteller für Werkzeugmaschinen entstanden ist, liegt das auch daran, dass ich kein Problem hatte, einen Inder im Ruhrgebiet, einen Deutschen in Polen und einen Bayern (in Bayern) als Entwicklungsteam zu leiten. Ich übernahm dabei einen Großteil der Programmierung der Kernsoftware. Gleichzeitig nahm ich als Scrum-Rolle routiniert eine Mischung Scrum-Master und Product Owner ein. Der Kunde hat inzwischen erfolgreiche Tests bei Maschinenherstellern gemacht. Da in das Produkt sehr viele Dinge eingingen, die aktuelle Kundenwünsche am Markt widerspiegeln, gelingt trotz Corona ein Markteintritt.
Bedroht ist dies erst mittelfristig durch den Shutdown von Kunden oder deren Kunden. Bedroht ist dies ferner aktuell durch den höheren Arbeitszeitanteil in Anwesenheit von Kindern.
Auch hier gilt: Wertschöpfungsfähigkeit so organisierter Strukturen bleibt auch mit Corona im Großen und Ganzen intakt.
Ich habe seit Ende 2018 als (teils) alleinerziehender Kinder im Haus. Ich war also daran angepasst.
Meine Partnerin arbeitet. Ihre Kinder sind zu 50% bei uns. Ich arbeite. Meine Kinder sind zu rund 2/3 bei uns. Es sind in Summe 5 Jungs von 3-8 Jahren.
Dies bedurfte regelmäßiger PDCO-Zyklen 🙂 . Hier wurden wir auch nie „fertig“. Organisatorisch gesprochen: die PDCO-Zyklen laufen kontinuierlich weiter 🙂 .
Dieser Teil hat sich schlagartig geändert. Wir waren nur besser vorbereitet, als andere, nicht aber geeignet vorbereitet. Da das Thema hier wesentlich zu weit führen würde, lagere ich es in einen separaten Artikel aus. Kern dieses anderen Artikels: suchen Sie Lösungen weiterzuarbeiten, anstatt wegen Problemen den Shutdown zu organisieren!
Was ich Ihnen als Anregung mitgeben möchte:
- Sie haben aktuell die große Chance, dass Ihre Mitarbeiter überdurchschnittlich veränderungsbereit sind. Jeder Arbeitnehmer will weiterarbeiten. Die Betriebe haben Bedarf an trotz Corona lauffähigen Wertschöpfungsketten.
Sie haben die große Chance, hinterher leistungsfähigere, ortsunabhängigere, familienfreundlichere Firmenstrukturen geschaffen zu haben. - Lassen Sie Ihre Mitarbeiter Abstand halten, anstatt sie nach Hause zu schicken. Hängen Sie Poster auf, die Mitarbeiter und Besucher dabei mitnehmen. Erläutern Sie dort z.B., dass man sich keine Hand gibt und sich nicht umarmt. „Lächeln ist das neue Begrüßen.“
- Sorgen Sie intern für Akzeptanz von Videokonferenzen anstelle persönlicher Meetings. Verschieben Sie Meetings in Videokonferenzen. Schreiben Sie Leitfäden für solche Konferenzen und halten Sie sich selbst daran. Passen Sie die Leitfäden an. Sehen Sie zu, dass jeweils eine Person vor einem Rechner sitzt, und alle ein Headset haben, so dass alle symmetrisch und ordentlich kommunizieren können.
- Bauen Sie sich Netzwerke, mit denen sie in Strukturen arbeiten können, in denen weniger direkter Kontakt herrscht. Sowohl Mitarbeiter von Zulieferern, als auch solche von Kunden wollen sich eventuell selbst nicht persönlich treffen. Sie wollen aber weiter mit Ihnen arbeiten. Wenn Sie es gut machen, können alle die Wertschöpfung am Ende mit geringeren Reisezeiten haben, als vorher.
Unterstützen Sie Ihre Zulieferer dabei. Sorgen Sie dafür, dass hinderliche Aspekte in ihrer Firma gefunden und konsequent verändert werden. Lassen Sie die Kunden und Zulieferer elektronisch in Ihr Haus. - Lassen Sie externe externe Servicetechnikerbesuche ihr Know-How einbringen, indem diese ihre internen Instandhalter per Skype / AR-Brille lenken. Lassen Sie externe Servicedienstleister wo möglich punktuell per VPN in Bereiche ihres Firmennetzes.
- Nehmen Sie Büros so auseinander, dass Mitarbeiter einer Know-How-Gruppe nicht mehr gesammelt in einem Büro sitzen. Saßen z.B. vorher je zwei Controller und Ingenieure in je einem Büro mit Controllern bzw. Ingenieuren, so mischen Sie temporär die Büros.
Wird dann ein Controller/Ingenieur krank, schicken Sie seinen Bürokollegen konsequent nach Hause. Dann fehlt halt neben dem Controller auch ein Ingenieur. Es würde aber frühestens beim zweiten – parallel auftretendem – Krankheitsfall auftreten, dass Sie keinen Controller oder keinen Ingenieur mehr in der Firma haben. - Entfernen Sie in der Kantine 50% der Stühle. Schreiben Sie vor, dass die Mitarbeiter sich nur diagnonal voneinander setzen dürfen und jeweils neben sich einen virtuellen Platz frei halten. Geben Sie in der Kantine nur noch abgepacktes Essen aus oder ergreifen Sie andere Maßnahmen, um deren Betrieb aufrecht zu erhalten. Das geht finanziell besser, als alle nach Hause zu schicken.
- Kaufen Sie Ihren Mitarbeitern Atemmasken aus dem nicht-medizinischen Bereich. Vereinbaren Sie, dass damit weitergearbeitet wird. Das kann zum Beispiel damit verbunden sein, jedem Mitarbeiter 5-10 Stück zu kaufen und den Mitarbeitern diese zu schenken. Kommen sie selbst mit Maske zur Arbeit. Und dann arbeiten Sie (alle) weiter.
- Entwicklungsprozesse können zu guten Teilen weiterlaufen, wenn man sich in der Welt der Scrum-Methodik nach Lösungen umschaut, anstatt sich damit abzufinden, dass Corona die Firma vor zu große Probleme stellt. Ich weiß, dass es manchmal fremdartig daherkommen mag, wenn Berater Scrumelemente gleich einer Bibel vor sich her tragen. Es muss nicht ihre Bibel werden! Sehen Sie es als Ideenpool, aber machen Sie, was Sie aus diesem Pool für hilfreich halten.
- Ebenso lassen sich viele andere Prozesse so umgestalten, dass sie unabhängiger vom Ausführungsort der Arbeit werden.
Jetzt ist die Zeit, Prozesse anzupassen und die sowieso nötige Organisationsarbeit als Chance zu nutzen. - Es gibt eine Menge Personen in Deutschland, die das richtige Mindset haben, Ihnen die laufenden Prozesse funktionierend und ISO9001-konform in Corona-Zeiten zu übertragen. Nutzen Sie das! Ja, dann zahlen Sie ggf. halt Berater. Ein Shutdown ist im Vergleich teurer.
- Coachen Sie Ihre Mitarbeiter darin, sich zuhause ordentliche Strukturen einrichten. Coachen Sie sie darin, sich nötigenfalls abzugrenzen UND den Kindern ein schönes Zuhause zu bieten. Sorgen sie dafür, dass durch Gedankengut wie „wir sitzen nicht im Bademantel bei der Arbeit“ eine gewisse Ernsthaftigkeit und Arbeitsqualitätsbewusstsein aufrecht erhalten wird.
Zusätzlich werden immer weitere Maßnahmen nötig sein. Mir geht es bei oberem nicht um eine vollständige Liste von Maßnahmen für einen Betrieb, sondern um ein Mindset.
Mein Hauptpunkt: viele Freelancer können aktuell einfach weiterarbeiten. Suchen Sie Ihre Wege, dieses Gedankengut auch in Ihre Firma zu holen. Unter Aspekten der geistigen Mobilität und den Möglichkeiten, ohne direkten Kontakt zu arbeiten,
Insbesondere dann, wenn Sie sonst Arbeit in den Shutdown der Firma stecken müssten, stecken Sie diese Arbeit doch bitte darein, wie es weitergehen kann, wo möglich.